Der Himmel über Berlin ist gesperrt – in Wesseln tanzt der Bär
Wo ist es? Wir müssten es doch groß und weiß schon längst sehen. Hinter uns rumpelt der riesige Anhänger, der aussieht wie eine langgezogene Pommesbude. Wir verdrehen uns die Hälse, suchen und suchen …
Was mache ich eigentlich hier? Ich wollte doch nur einen Tag lang Schnupperflüge bei den Detfurther Segelfliegern machen und nun gurken wir über ländliche Kleinststraßen und suchen zwar nicht die Nadel im Heuhaufen aber immerhin ein 15 Meter großes Flugzeug auf einem Acker. Das kann sich doch nicht so einfach verstecken. “Halt an, da steht Benny!” Er lacht über das ganze Gesicht. “400 Kilometer easy going, nur im Süden musste ich kämpfen.” “Ja ja, und dann den letzten Hügel nicht geschafft. Wohl keinen Wind mehr gehabt, waaas?” “Aber hallo; und dann voll krass in die Rüben!” “Apropos Rüben, wo liegt eigentlich die ‘E’?” “Da drüben hinter der Kuppe. Da geht ein Feldweg hinten ‘rum und dann sind’s noch 20 Meter.” “Nur 20 Meter durch ein schlappes Rübenfeld – und du sagst am Telefon, wir sollen noch einen mehr mitbringen?” “Doch doch, den brauchen wir. Du wirst sehen.” Nun ja, der eine mehr, das bin ich …
Heute morgen wäre ich niemals auf die Idee gekommen, eine Rückholtour mitzumachen. Da war ich noch viel zu geschockt von meinem ersten Start – oder soll ich sagen begeistert?
Zum ersten Mal in dieser kleinen Kabine. Der Fluglehrer sitzt hinter mir. Ich weiß es, aber ich sehe ihn nicht. Mit seiner ruhigen Stmme erklärt mir Karsten, dass er den Start fliegen wird. “Du kannst den Steuerknüppel mit zwei Fingern halten, um die Manöver zu fühlen.” Ich fühle aber nur den Schweiß auf meiner Stirn … Langsam strafft die Winde das Bleistift-dünne Stahlseil. Sanft beginnt das Flugzeug zu kriechen. Jetzt gibt der Windenfahrer Vollgas! 250 PS katapultieren uns gewaltig nach vorn. 1 Sekunde, wir haben 100 km/h – und fliegen! 2 Sekunden später geht es irre steil nach oben und nach weiteren 10 Sekunden sind wir 300 m über der Winde. Ein kleiner Ruck, das Seil klinkt aus. – Wir sind frei!
Wahnsinn, aber auch der weitere Flug hat es in sich! Einfach nur mit konstanter Geschwindigkeit geradeaus zu fliegen ist garnicht so einfach. “Rechte Fläche hängt, Nase etwas tiefer, 90 km/h, achte auf den Horizont.” Karsten ist ganz ruhig und lässt mich alles machen, greift nur gelegentlich kurz ein, wenn ich mich total verbastelt habe. “Wir haben ja sichere Höhe. Da kann ich alles korrigieren. Die Landung werde ich allerdings wieder allein steuern.” Plötzlich werde ich in den Sitz gedrückt und das Flugzeug wird wie von einer riesigen Hand hoch geworfen. “Thermik!” Karsten übernimmt, fliegt enge, eiernde Kreise. Mein Magen schwingt auf und nieder, wie in einem schlingernden Kettenkarussell. Wir sacken ein paar Meter durch, werden wieder hoch gerissen. Eine halbe Tonne Flugzeug – ich hätte nie gedacht, dass einfache Luft eine solche Kraft hat! Nach 5 Minuten haben wir 1000 Meter Höhe geschafft. Die Welt sieht aus wie eine Modelllandschaft. Karsten fliegt wieder geradeaus. Ich darf weiter üben: Horizontbild – Fahrtmesser – Wollfaden – Horizontbild … Später fliege ich meine ersten Kurven.
“Ach du Scheiße! Die ‘E’ hat sich ja total eingegraben.” “Sag ich doch, ist ein bischen weich, der Acker.” Das Rad ist nicht mehr zu sehen. Die Rumpfwanne liegt auf dem lockeren Boden auf. Die Flügel sind zwischen den Rübenblättern versteckt. “Ist, glaub’ ich, alles heil geblieben, Hedwig kann sich das ja noch mal ansehen, aber nun wisst Ihr, warum wir neue Leute dringend brauchen.” “Rüsten wir hier ab oder zerren wir das Teil erst mal vom Acker?” Ich habe schon die ersten ‘Fachbegriffe’ gelernt. “Weiß noch nicht … Hej, schaut mal, da kommt der Bauer.” Nicht hoch zu Roß, aber auf einem alten Trecker kommt er den Feldweg hoch geschnauft. Die Daten für die Versicherung wegen des Flurschadens sind schnell ausgetauscht und dann zieht der nette Bauer auch noch die ‘E’ mit seinem Trecker vom Acker. Wenige Minuten später ist das Flugzeug auseinander genommen und im Anhänger verstaut.
“Glaubst du wir kriegen am Platz noch ein paar Würstchen?” “Klar, du kennst doch Monika. Die passt schon auf, dass wir nicht verhungern.” Am Flugplatz angekommen gibt uns Benny erst mal eine Runde Nackenkottletts aus. Würstchen sind natürlich auch noch zu haben. Am Lagerfeuer klingt der Tag mit vielen Außenlande- und anderen lustigen Geschichten aus.
Wie z. B. Frank einmal direkt neben einer Konfirmationsfeier im Kartoffelacker gelandet ist oder wie ein Bauer sich aufregte, weil in einer Woche 5 Flieger immer den selben Acker benutzten und wie er dann sofort total nett wurde, als er erfuhr, dass Karsten aus dem selben Ort wie er stammt … “Na, kommst Du nächstes Wochenende wieder?” “Aber immer doch!”
Die ganze Nacht bin ich im Schlaf weitergeflogen, habe das Sitzgefühl gespürt, dieses lange, weiche Schwingen, habe die Vögel mit uns in der Thermik fliegen sehen … Dass ein solches Erlebnis noch so lange nachwirkt! Einfach genial!
Das ist Segelfliegen.
Segelfliegen Erlebnisbericht, geschrieben von C. Mertens